06. Juni, 73 km, 515 Höhenmeter

Meine Unterkunft lag südlich von Mailand. Mein Weg führte mich nach Norden. Nun hatte ich drei Möglichkeiten: im Westen um Mailand herum, im Osten um Mailand herum oder direkt durch Mailand hindurch. Da beide Umgehungen deutlich länger waren und mich gleichfalls durch viele Orte geführt hätten – es sei den ich hätte noch längere Wege gewählt – entschloss ich mich, direkt durch Mailand hindurchzufahren. Dabei wollte ich nichts besichtigen, sondern etwas tun, was ich in Großstädten immer gerne tue – das morgendliche Treiben beobachten.

So stürzte ich ich rein in den Trubel – und war erstaunt, wie gut man mit dem Fahrrad durch Mailand radeln kann. Große Straßen haben meistens Radwege, und kleine Straßen waren unproblematisch. Das Navi leitete mich sehr durch die Großstadt. An Punkten mit besonders viel Leben, z.B. beim Aufbau eines Marktes oder an Plätzen mit vielen Straßencafés, blieb ich immer mal wieder stehen und ließ den Trubel auf mich wirken. Klar, ich genehmigte mir auch selbst einen Cappuccino in einem netten Straßencafé.

Es dauerte kürzer als gedacht, bis ich Mailand nach Norden verließ. In einem Park in Cesano Maderno in der Provincia di Monza e della Brianza machte ich Brotzeitpause und hatte wieder ein nettes Erlebnis.


Im Park von Cesano Maderno

Zwei Parkbänke weiter saß eine jüngere Frau und telefonierte eifrig. Dabei zog sie einen Bon nach dem anderen aus der Tasche und las daraus dem Telefonpartner etwas vor. Plötzlich sprang sie auf und kam, einen Schwall italienischer Wort über mich ergießend, auf mich zu. Nachdem ich ihr signalisierte hatte, dass ich kein Italienisch sprach, reduzierte sie den Redeschwall und gab mit zu verstehen, dass sie eine Zahlenreihe auf einem der Bons nicht richtig lesen könne, weil diese schon ziemlich verblasst wäre. Ob ich ihr den helfen könne. Ich nahm den Bon in die Hand und konnte die Zahlenreihe tatsächlich entziffern. Nun konnte ich auch anwenden, was ich in italienisch gelernt hatte und nannte ihr die Ziffern auf italienisch. Nachdem sie die letzte Ziffer durchgegeben hatte, jubelte sie. „Va bene“ hat ihr wohl der Telefonpartner gesagt, was sie direkt an mich weiter gab.

Ich packte meine Brotzeit zusammen und fuhr weiter. Der Weg ging weiterhin vor allem durch bebautes Gebiet. So passierte ich unter anderem Seveso, das durch den Chemieunfall mit Dioxin im Jahr 1976 traurige Berühmtheit erlangt hat. Später fuhr ich durch Carimate mit seinem Schloss und dem zugehörigen Schlosshotel. Carimate dürfte eventuell auch einigen eingefleischten Fußballfans bekannt sein. Lothar Matthäus und Andreas Brehme lebten dort, als sie für Inter Mailand Fußball spielten.


Schloss von Carimate


Schlosshotel von Carimate

Die Strecke stieg über ca. 40 km langsam und kaum spürbar an, heraus aus der Po-Ebene in Richtung Alpen. Die Alpen, die ich schon in Mailand erspäht hatte, kamen näher und verwandelten die Strecke bald in das bergtypische Auf und Ab.

Langsam näherte ich mich Como. Mein Weg ging eigentlich einige Kilometer südlich am Comer See vorbei, aber den Comer See konnte ich nicht sausen lassen. Als fuhr ich im dichten Verkehr hinab zum See und erreichte ihn an einer Stelle, an der Wasserflugzeuge starten und landen. Es war auch dort reger Betrieb. Ich schaute längere Zeit zu, bevor ich mein Gespann am Ufer entlang Richtung Westen weiterschob.


Am Comer See

Nach einer Stunde machte ich mich auf den Weg zu meiner Unterkunft in Seseglio, das ein Ortsteil von Chiasso in der Schweiz ist. Da ich wusste, dass die zum Hotel Vecchia Osteria Seseglio zugehörige Osteria an diesem Tag Ruhetag hatet, kaufte ich unterwegs noch etwas zum Abendessen. Es ging zuerst ziemlich den Berg hoch und dann über die Schweizer Grenze. Bald ging es raus aus dem Verkehr und über eine ruhige Strecke nach Seseglio. Endlich kam ich an der Unterkunft an – und es war alles geschlossen, nicht nur die Osteria. Keine Menschenseele auf dem weiträumigen Gelände, keine Antwort auf das Klingeln. Ich checkte noch einmal meine Mails, und tatsächlich – es gab eine neue Nachricht. Heute wäre niemand im Gebäude, kein weiterer Gast, kein Personal, nur ich. Den Schlüssel hatten sie mir im offenen Briefkasten bereitgelegt, und so konnte ich – Herr über das ganze Gebäude – das Zimmer beziehen. Es war ein sehr schönes, großes, helles Zimmer mit einer Küchenzeile mit Kühlschrank, wo ich auch Getränke und vor allem das Frühstück fand. Erst um 9:00 Uhr am anderen Morgen wollte jemand da sein.


Zimmer im Hotel Vecchia Osteria Seseglio

Nun, ich packte meinen Einkauf aus und setzte mich in den großen Biergarten, um bei schönstem Wetter in aller Ruhe und ungestört zu Abend zu essen. So ging der Tag, der mich durch sehr viele belebte Orte, von Mailand bis Como gebracht hatte, extrem ruhig zu Ende.

Einsames Abendessen im Biergarten

Link zur Karte der Strecke

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